Corona

10. April 2020

«Mir fällt auf, dass mehr Leute mit dem Velo unterwegs sind»
4 Minuten
Martin Radtke

«Mir fällt auf, dass mehr Leute mit dem Velo unterwegs sind»

Nach meinen Ferien wurde angeordnet, man dürfe beim Begrüssen und Verabschieden die Hände nicht mehr geben – das war zunächst sehr gewöhnungsbedürftig. Doch die Klientinnen und Klienten haben die Massnahmen gut verstanden, als ich erklärte, warum wir aufs Händegeben verzichten.

Schwieriger wurde es, als die Maskentragepflicht eingeführt wurde. Eine Klientin hatte grosse Angst. Sie befürchtete, sie werde ausgeraubt. Die Frau ist an Demenz erkrankt. Darum blieb ich zunächst auf Distanz, habe mich zu erkennen gegeben und ihr erklärt, dass ich jetzt die Gesichtsmaske anziehen werde. Das hat sie beruhigt. Die Schutzmaske verdeckt viel vom Gesicht. Das ist nicht leicht für unsere Klientinnen und Klienten. Besonders schwierig ist es für Menschen, die nicht gut hören und darauf angewiesen sind, die Lippen und die Mimik zu lesen.

Anfangs März gab es noch Teamsitzungen und Fallbesprechungen. Hier konnten wir uns austauschen, Fragen klären und miteinander Lösungen diskutieren. Das hat mir sehr geholfen, mit der Situation klar zu kommen. Inzwischen sind Sitzungen nicht mehr möglich. Der Austausch hat sich auf die interne digitale Kommunikationsplattform verschoben. Ich bin dankbar, dass es diese Möglichkeit gibt. Zunächst gab es viele praktische Frage, die wir lösen mussten, zum Beispiel wohin mit den Schutzmasken nach dem Einsatz? Wie halten wir den Spitex-Rucksack virenfrei? Wie machen wir Körperpflege, wenn zwei Meter Abstand verlangt wird?

Es gibt weniger Verkehr in Zürichs Strassen. Es ist, als wäre immer Sonntagmorgen. Vor allem die Trams sind leer. Das ist ein komisches Gefühl. Mir fällt auf, dass viel mehr Leute mit dem Velo unterwegs sind. Bis vor kurzer Zeit sassen viele Menschen noch am Seeufer. Das ist vorbei. Zum Glück. Wenn sich alle an die Vorgaben halten, kommt die Normalität schneller wieder.

Ich habe persönlich keine Angst vor dem Virus, denn ich gehöre zu keiner Risikogruppe. Ich bin ausgebildet, wie man Menschen mit übertragbaren Krankheiten pflegt und wir haben gute Schutzmassnahmen. Es gab nur einen Moment, da war ich etwas verunsichert: Die Frage stand im Raum, ob es wirklich genügend Händedesinfektionsmittel gibt. Das hat sich inzwischen geklärt und ich bin sehr zuversichtlich.

Nachdenklich macht mich die Isolation unserer Klientinnen und Klienten. Ich erwarte physische und psychische Folgen. Viele von ihnen können ihre Wohnung nicht einmal für einen Spaziergang verlassen, bewegen sich zu wenig und begegnen keiner Person ausser uns Spitex-Mitarbeitenden.

Beim öffentlichen Klatschen habe ich auch mitgemacht. Allerdings habe ich auch für die Kassiererinnen und Kassierer der Lebensmittelläden geklatscht. Diese Art der Anerkennung ist eine Wertschätzung für uns alle. Ich wünsche mir, dass nach dem Ende diese Krise mehr Menschen den beruflichen Weg in die Pflege finden.

Das Coronavirus hat dazu beigetragen, dass Nachbarn für einige meiner Klientinnen und Klienten einkaufen gehen und sich mehr um sie kümmern. Es wäre schön, wenn diese Art von Solidarität bleiben würde.

Jennie Winsjansen, 35, dipl. Pflegefachfrau, Spitex Zürich Sihl

 


Dieser Beitrag erschien im Spitex Magazin 2 | 2020.